"Zuschauerräume"
Autoren: Marika Lapauri-Burk, Niko Tarielaschwili
Essayfilm,
Deutschland/Georgien 2013, 50 Min.
HD 1920/1080P 25fps sound
stereo mix
Ein Film von ავტორები
Marika Lapauri-Burk und Niko Tarielaschwili მარიკა ლაფაური, ნიკო ტარიელაშვილი
Idee, Konzept: Marika Lapauri-Burk (For Lado) იდეა, კონცეპტი: მარიკა ლაფაური
Szenenbild, Foto: Gia Lapauri მხატვარი: გია ლაფაური
Musik: Dato Malazonia მუსიკა: დათო მალაზონია
Redaktion: Marika Lapauri-Burk, Dr. Frank Tremmel რედაქცია: მარიკა ლაფაური, დოქტ. ფრანკ ტრემელი
Kamera: Niko Tarielaschwili ოპერატორი: ნიკო ტარიელაშვილი
Toningenieur: Iwane Gvaradze ხმის რეჟისორი: ივანე გვარაძე
Schnitt: Niko Tarielaschwili, Marika Lapauri-Burk მონტაჟი: ნიკო ტარიელაშვილი, მარიკა ლაფაური
Produzenten: Marika Lapauri-Burk, Niko Tarielaschwili
Darsteller როლებში: König, Gottfried, Graf Rehlen, Zweiter Offizier:
Giwi Margwelaschwili / გივი მარგველაშვილი
von Ramesin: Data Lapauri დათა ლაფაური
/ Erpich: Giorgi Djibladze გიორგი ჯიბლაძე
/ Herzog: Lado Kalandadze ლადო კალანდაძე
/ Herzogin: Lile Pilpani ლილე ფილფანი
/ Dornrose: Nini Lapauri ნინი ლაფაური
The essay film Spectator Spaces
from Marika Lapauri and Niko Tarielashvili shows the attempt to resolve the involvement of the people in stories and history. It lets the audience, participate in a trans-historical experiment.
With the help of archival footage and staged movie sequences the two directors arrange the legendary German-Georgian writer's and philosopher's Givi Margvelashvili, author of the play of the same name and also the conceptual main protagonist of the film, kaleidoscopic insight into the possibilities and limits of an utopia. The focus of the actual events are the places of doom, such as theater, parliaments, conference rooms, of which history has its origin, and the attempt to wipe out the topography of the dramatic and narrative entanglements. The outcropping while at the same time perplexities of this historical and anti-historical actions affect not only disillusioning, but also open a reflexive access to a sense of space, which rises in the futility of the story about the historical period.
Deutschland/Georgien 2013, 50 Min.
HD 1920/1080P 25fps sound stereo mix
Giwi Margwelaschwili / გივი მარგველაშვილი
von Ramesin: Data Lapauri დათა ლაფაური
/ Erpich: Giorgi Djibladze გიორგი ჯიბლაძე
/ Herzog: Lado Kalandadze ლადო კალანდაძე
/ Herzogin: Lile Pilpani ლილე ფილფანი
/ Dornrose: Nini Lapauri ნინი ლაფაური
The essay film Spectator Spaces
from Marika Lapauri and Niko Tarielashvili shows the attempt to resolve the involvement of the people in stories and history. It lets the audience, participate in a trans-historical experiment.
With the help of archival footage and staged movie sequences the two directors arrange the legendary German-Georgian writer's and philosopher's Givi Margvelashvili, author of the play of the same name and also the conceptual main protagonist of the film, kaleidoscopic insight into the possibilities and limits of an utopia. The focus of the actual events are the places of doom, such as theater, parliaments, conference rooms, of which history has its origin, and the attempt to wipe out the topography of the dramatic and narrative entanglements. The outcropping while at the same time perplexities of this historical and anti-historical actions affect not only disillusioning, but also open a reflexive access to a sense of space, which rises in the futility of the story about the historical period.
Deutschland/Georgien 2013, 50 Min.
HD 1920/1080P 25fps sound stereo mix
Text: von Jana Papenbroock
Der Essayfilm
von Lapauri und Tarielaschwili ist das Ergebnis ihrer vier Jahre währenden
Beschäftigung mit Giwi Margwelaschwili und seinem Stück, die die Regisseure an
die unterschiedlichsten Orte geführt hat. Orte, an denen das Vergangene und das
Gegenwärtige wie übereinander projiziert erscheinen: Archive, Ruinen,
verlassene Bibliotheken, Kinos, Rudimente von Räumen, in denen die Gespenster
der Geschichte wirken. Der Film über Margwelaschwilis
Stück ist ein Projekt über Geschichte und Geschichtsschreibung, über deren
performative und narrative Voraussetzungen. Er ist ein offenes Werk, das sich mit den
Mitteln der Multiperspektivität und mit diversen Film- und
Videomaterialien auf die Suche nach den räumlichen und zeitlichen
Kontinuen begibt, die Geschichte konstituieren und von denen Margwelaschwili
erzählt. Es geht um die Sichtbarmachung eines blinden Flecks, der
Stelle, an der wir selbst stehen, bereits im Bilde und in der Geschichte sind,
aber uns stets unserer Verantwortung freisprechen. Es ist die unsichtbare
Stelle des Zuschauers und die Unsichtbarkeit seiner Macht, die sich durch sein
unbewusstes Begehren herstellt.
Immerzu sitzen
wir im Theater- oder Kinosaal der Welt und schauen ihrem Spektakel und oftmals scheußlichen
Treiben zu, ohne Stellung zu beziehen. Stets verschieben wir die Verantwortung
auf die Anderen, das System, die Bedingungen. Margwelaschwili kehrt den Spiegel
um und richtet das Licht auf die Sitzreihen, damit wir uns erblicken können, uns
ein wenig unbequem zumute wird und wir über unsere Situation nachdenken können.
"Zuschauerräume" wagt ein
Gedankenexperiment: Wenn alle Topographien der Macht, Manipulation und
Beherrschung, alle Räume also, die Geschichte produzieren, abgeschafft wären,
müssten wir dann nicht in Frieden leben? In einem unbeobachteten Paradies, in
dem wir vereint mit der Natur, einander wohlgesonnen und absichtslos existieren
könnten. Die Umsetzung des Experiments bedarf jedoch der Gewalt und der Zerstörung von Kultur und Geschichte. Dass das nicht gut gehen kann, ahnen wir
ziemlich schnell, wenn wir uns die unzählbaren Zerstörungen des vorigen
Jahrtausends ins Gedächtnis zurückrufen. Das Stück klärt uns auf
über die Gefahren des Terrors im Namen der transhistorischen Utopie. Es zeigt
zugleich aber auch fortwährend die gewaltsame Borniertheit der bisherigen
Geschichte. Margwelaschwili öffnet so den Raum der gedanklichen Kontextualisierung,
in dem wir uns unserer Verantwortung als Akteure bewusst werden und in dem allein
unsere Verstrickungen sich auflösen lassen.
Immer wieder sehen wir im
Film eine weiße Leinwand, sehen wir Margwelaschwili lesen, Zuschauer schauen,
Episoden aus den Archivmaterialien und Inszenierungen auf der Leinwand im Bild
flimmern, die uns für den Raum sensibilisieren, von dem aus wir selbst
projizieren, und der uns wiederum als Zuschauer produziert. Warum wollen wir
unbedingt immer wieder das Eine, eine packende, gewalttätige Geschichte, sehen
und können wir auch Anderes sehen wollen lernen? Der Film selbst ist eine
materielle Antwort auf die Frage, in dem er die Möglichkeit eines glücklichen
Todes überholter Signifikanten der Macht vorführt, einen Film wagt, der ohne
Drama, ohne Mord und Totschlag, der Stimme eines Schriftstellers zuhört, der
ganz einfach etwas zu sagen hat. Mit äußerster Behutsamkeit rekonstruiert der
Film wie eine experimentelle, audio-visuelle Retrospektive die Zusammenhänge
einer Allianz aus Erzähler, Geschichte und Zuschauer und sinniert über die
multiplen Inkarnationen dieser Allianz und ihrer Verzahnung mit der brutalen
Geschichte des 20. Jahrhunderts, an dessen Ende sich eben diese Konzepte
aufzulösen begannen.
Lapauris und Tarielaschwilis
selbstreflexiver Film ist eine Hommage und Kritik ihres eigenen Mediums
zugleich. Die vielschichtige, musikalische Filmkomposition löst alle
deterministischen Genregrenzen auf und verbindet wie in einem videographischen
Stream-of-Consciousness, Geschichte im Singular mit den Geschichten im Plural, während
wir immer im Zuschauersaal mit dem verschmitzten, intellektuellen Zentrum der
ganzen Sache, Giwi Margwelaschwili selbst, bleiben, der uns heiter und
optimistisch weiter von der Vergeblichkeit aller königlichen Bemühungen
vorliest. „Zuschauerräume"
ist als Anstoß zu verstehen, in der Zeit und dem Raum, die uns zur Hand liegen,
zu handeln und zu denken, und Geschichte nicht als statische Abhandlung oder
Chronologie von Ereignissen zu reproduzieren.
Lapauri und Tarielaschwilis Begegnungen mit den Gespenstern der Geschichte ergeben kein abschließbares Bild. Sie regen uns dazu an, uns selbst mit ins Bild zu setzen, wenn wir über Geschichte nachdenken.
Lapauri und Tarielaschwilis Begegnungen mit den Gespenstern der Geschichte ergeben kein abschließbares Bild. Sie regen uns dazu an, uns selbst mit ins Bild zu setzen, wenn wir über Geschichte nachdenken.
Einführung bei der Premiere in Hamburg
von Dr. Frank Tremmel
Sehr geehrtes Publikum, liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer (und diese Anrede ist für den heutigen Abend
durchaus programmatisch, wie sie noch sehen werde),
zunächst recht herzlich Willkommen
zur zweiten Aufführung des Films „Zuschauerräume“ von Marika Lapauri-Burk und
Niko Tarielaschwili hier im Metropolis im Rahmen der Reihe
"Einblick-Kaukasus".
Ich wurde gebeten, die Anmoderation
des Films zu übernehmen und in diesem Zusammenhang auch einige Worte über die Philosophie zu
verlieren, die sich hinter dem Film verbirgt bzw. in ihm zum Ausdruck kommt. Keine Sorge, Sie müssen nun keine
philosophische Vorlesung über sich ergehen lassen, um in den cineastischen
Genuss zu kommen, den Sie ja immerhin schon an der Kasse bezahlt haben und der
in der Vorankündigung keinen Vortrag vorsah.
Zudem stößt das von mir Abverlangte
auf zweierlei Schwierigkeiten. Zum einen steht jedes Kunstwerk für sich und ist
nicht lediglich die Illustration einer Idee. Insofern würde es nicht für den
Film sprechen, wenn er einer philosophischen „Gebrauchsanweisung“ bedürfte. Zum
anderen – ich bin im Gegensatz zu Giwi Margwelaschwili, unserem
Hauptprotagonisten und zugleich unserem eigentlichen Regisseur, kein Philosoph.
Ich habe also lange hin und her
überlegt, wie ich mich nun als Historiker dieser Aufgabe gewachsen zeigen kann.
Letztlich erwies es sich als nützlich, sich der Doppeldeutigkeit der Historie
zu erinnern, die sich als Zunft ja bis heute nicht recht einig ist, ob sie sich
nun als Kunst oder als Wissenschaft begreifen soll. Die Historie versteht sich
bekanntermaßen ja auch nicht nur als Tatsachenbericht, sondern auch als
Erzählung von den geschehenen Taten und
Sachverhalten. Als solche liegt ihr nun eine Materie zugrunde, derer sich Giwi Margwelaschwili sowohl mit literarischen
als auch mit philosophischen Mitteln immer wieder angenommen hat.
Dieses Objekt der Sujetmaterie, wie
er es nennt, also die Welt der Erzählungen und der Themen, soll Ihnen heute mit
filmischen Mitteln präsentiert werden.
Der Kaukasus als Berg der Völker
und der Sprachen, auf den ja gestern und heute in diesem Kino ein Blick
geworfen werden soll, ist zweifellos auch ein Berg der Erzählungen, der Themen.
Themen, die oftmals erst durch neue Kontexte wieder einen Sinn erhalten. Über
neue Kontexte vielleicht etwas mehr nach dem Film. Ohne allzu viel
vorwegzunehmen oder Ihnen im Vorfeld bereits den eigenen Blick durch
Interpretationen verstellen zu wollen, seien an dieser Stelle nur ein paar
Gesichtspunkte erwähnt, die Ihren Blick lediglich schärfen, aber ansonsten
Ihrer Phantasie keinen Abbruch tun mögen. Wie es im Ankündigungstext dieses
Films heißt, werden Sie, liebe Zuschauern, heute zu „Teilnehmern eines
transhistorischen Experiments“. In seinem Verlauf soll Ihnen gezeigt werden,wie
Giwi Margwelaschwili im Flechtwerk der Erzählungen, in das wir offenkundig
zutiefst verstrickt sind und das wir Geschichte nennen, eine Art Lichtung,
einen Freiraum der verantwortlichen Handlungen eröffnet.
Seien Sie trotzdem gewarnt, aus der
Geschichte kommen Sie nicht heraus. Es ist keine spezifisch kaukasische, es ist
Ihre/Unsere Geschichte. Aber seien Sie wiederum unbesorgt, Sie bleiben
Zuschauer – es passiert Ihnen nichts. Gerade wenn Ihnen beklommen zumute sein
sollte und wir müssen Ihnen leider allerhand Unschönes, Blutiges und
Gewalttätiges zumuten, atmen Sie durch, bewahren Sie einen kühlen Kopf und
bedenken Sie immer – es geht dem Autor, Giwi Margwelaschwili, nur um eines: In
der Geschichte verbleibend, einen Freiraum zu entwickeln. Es geht darum, die
Räume zwischen den Maschen des Flechtwerks, das wir Geschichte nennen, zu
erweitern, am ende sogar darum, neue Verknüpfungsregeln aufzustellen.
Achten Sie in diesem Zusammenhang in
dem Film einmal genau auf die von den beiden welthistorischen Gegenspielern
bezogenen Positionen – im Stück als
König und als Herzog auftretend. Nu so
viel dazu: Giwi Margwelaschwili ist gewiss kein Denker des modischen
„posthistoire“. Das „Ende der Geschichte“ wurde uns im 20. Jahrhundert mehr als
einmal verkündet. Ihre Rückkehr folgte jeweils auf den Fuß. Giwi
Margwelaschwili gehört aber gewiss auch nicht zu den modischen Verächtern der
Utopie, den neuen Herzögen einer ewig gleichen Machtgeschichte, die in Peter
Scholl-Latour-Manier ihre Altherrenweisheiten zum besten geben. Über seinen sehr
eigenen Standpunkt, seine Philosophie des „Transhistorischen“ als Resultat
seines Lebens möchte ich im Anschluss an diesen Film mit Frau Lapauri noch
etwas sprechen. Wir stehen Ihnen, liebes Publikum, dann auch gerne für Fragen
zur Verfügung. Zunächst, viel Vergnügen bei der passiv-aktiven Verstrickung in
unsere Geschichte.
Ich freue mich schon sehr darauf, ihn noch einmal auf einer großen Leinwand sehen zu können.
Liebe Marika,
ich bin am Wochenende aus Belgrad zurückgekommen und habe gerade Ihren Film gesehen. Großartig! Ich finde ihn ganz toll. Ihnen und Niko Tarielaschwili ist gelungen, Bilder für die gewaltigen Vorstellungswelten zu finden, die dieser zarte, feine Herr zu entwerfen imstande ist. Ihr Film hat etwas Bezwingendes, man wird immer atemloser und das Ende ist ein Paukenschlag. Ich habe mich gefragt, wie Sie es schaffen wollen, diese philosophischen und zugleich so konkreten Texte filmisch umzusetzen und ihnen gerecht zu werden. Ich finde, es ist Ihnen großartig gelungen. Das Spiel mit den Überblendungen, den verschiedenen Materialien, die Kameraführung und die Anlehnung an den Stummfilm – das alles sind wirklich filmische Antworten und Fortschreibungen auf Giwi Margwelaschwilis Kunst. Und vor allem haben Sie es geschafft, zugleich ein Porträt von ihm zu entwerfen, das nicht vom Äußerlichen ausgeht, sondern vom Innersten Kern dessen, was ihn umtreibt. So wirkt es auf mich.Ich freue mich schon sehr darauf, ihn noch einmal auf einer großen Leinwand sehen zu können.
Insa Wilke, Publizistin und Literaturkritikerin
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen