Betreff: Dokumentation am 14.12.08 „Machtpoker im Kaukasus“
Dokumentation am 17.12.08 „Die Spur des Goldes“ / “Abenteuer Wissen“
von Dr. Frank Tremmel, Marika Lapauri-Burk
in der letzten Zeit gab es hin und wieder einige Bemerkungen und Diskussionen über die Bedeutung und Funktion der Medien in einer globalisierten Welt. Gerade am Beispiel Georgien läßt sich die vereinigende und gleichzeitig trennende Macht der medialen Berichterstattung sehr anschaulich dokumentieren. In der Zeit des eisernen Vorhangs und erneut in der Zeit nach der Perestroika war Georgien und der Kaukasus eine Terra incognita. Lediglich durch die stark idealisierte Gestalt Eduard Schewardnadses rückte das Land zeitweilig in den Fokus der Weltöffentlichkeit, um dann schnell wieder in den unendlichen Weiten der postsowjetischen Unübersichtlichkeit zu versinken. Durch kriegerische Auseinandersetzungen, wie sie im August dieses Jahres ausbrachen, hatte die Berichterstattung über diese Region erneut Konjunktur. Die Fragen nach den Hintergründen des Konflikts schufen einen wachsenden Bedarf an Informationen, die jedoch aufgrund der Besonderheiten dieser Region und der mangelnden Kenntnisse nur schwer zu beschaffen sind. Der auf Informationen aus zweiter Hand und zudem oftmals nur ungenügend überprüften Quellen aufgebaute Informationsfluss erwies sich zunehmend als destruktive Einflusskomponente. Auch die offenbar mit heißer Feder geschriebenen Artikel und Bücher der jüngeren Zeit bewegen sich entweder auf dem problematischen Niveau einer Weltbürgerkriegsdiagnostik à la Scholl-Latour, oder ergehen sich in ahistorische Sophistereien über völkerrechtliche Einzelfragen, die den Leser oftmals ratlos zurücklassen. So groß zweifellos die Bemühungen der georgischen Seite waren, die Aufmerksamkeit im Westen zu gewinnen, so groß ist jetzt die Befürchtung, dass dieses Interesse sich als zweischneidiges Schwert entpuppt. Die anfänglichen Hoffnungen auf eine stärkere Medienpräsenz weichen zunehmend der Sorge, dass das kleine Kaukasusland zum Opfer eines oberflächlichen Sensationsjournalismus wird. In manchen Fällen muss sogar von einem westlichen Informationskolonialismus gesprochen werden, der sich auf zweifelhafte Weise originäre Erfahrungen und Erkenntnisse der Menschen dieser Region aneignet und sie seiner Deutungshoheit unterwirft. Das gilt nicht nur für den politischen Kampf Georgiens um seine Unabhängigkeit, sondern auch für sein kulturelles Erbe.
Den westlichen Berichterstattern ist oftmals nicht bewusst, dass mit den politischen, ökonomischen und kulturellen Umbrüchen in Osteuropa für uns alle eine neue Ära angebrochen ist, die es erforderlich macht, unterschiedliche Erfahrungen in einem wechselseitigen Prozess auszutauschen und nicht einfach durch die Raster der jeweils überkommenen Kategorienssysteme zu filtern. Angesichts des komplexen Ineindergreifens von Finanzkrise und antiquierten Großmachtambitionen auf einem ökologisch bedrohten Planeten sind wir erstaunt, mit welch groben und vorsintflutlichen Begrifflichkeiten die Kaukasusregion belegt wird. Das vielzitierte und immer wieder eingeforderte „Neue Denken“ erweist sich für Georgien weiterhin als leeres Postulat. Gerade von einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt erwarten wir aber eine seriöse und umfassende Darstellung von Themen und Problemen. Vereinfachungen, Pauschalisierungen und Standardisierungen sind uns von den privaten Anbietern bereits sattsam bekannt. Umso schmerzlicher empfinden wir es, dass nun auch das ZDF offenbar auf möglichst einfache, schnelle und oberflächliche Antworten setzt. Wir hatten bisher die deutsche Medienpolitik in mancher Hinsicht sogar für vorbildlich gehalten und gehofft, dass sie auch in Georgien Nachahmer findet. Das müssen wir leider zunehmend bezweifeln. Wir finden in steigendem Maße eine reißerische Bildsprache in der Berichterstattung über den Kaukasus, der dem Anspruch einer seriösen Dokumentation nicht gerecht wird. Wir möchten an dieser Stelle nur zwei Sendungen herausgreifen, die vom ZDF im Dezember ausgestrahlt wurden.
In der am 14.12.2008 ausgestrahlten Sendung „ Machtpoker im Kaukasus “ sollte uns in Gestalt einer dramaturgisch geschickt inszenierten Kriegsberichtserstattung der Eindruck einer vermeintlich objektiven, den Konfliktparteien gleichermaßen distanziert gegenüberstehenden, Analyse der Ereignisse suggeriert werden. Die Genealogie des Krieges setzt in der üblichen Weise mit den manifesten Kriegshandlungen im August ein. Die vorangegangenen, vergleichsweise unspektakulären Provokationen und Großmachtsgebärden von russischer Seite ließen sich vermutlich nicht in der gleichen Weise medial vermarkten. Der lange, zähe und zermürbende Kampf Georgiens um seine Unabhängigkeit und den Anschluss an moderne Standards der Entwicklung sind erst recht nicht in gleichem Maße bildjournalistisch in Szene zu setzen. In einem furiosen Durcheinander klischeehafter Bildfolgen wird zwar rhetorisch die Frage, „Wer ist der Gute und wer ist der Böse“ aufgeworfen, aber es gelingt nicht, den historischen Kontext zu beleuchten, geschweige denn, den Konflikt in einer Entwicklungsperspektive zu deuten. Es bleibt insofern nur der Eindruck einer lockeren Zusammenfassung gängiger Interpretationen, Sprachregelungen und geostrategischen Allerweltswissens. Uns ist selbstverständlich bewusst, dass in den zur Verfügung stehenden fünfundvierzig Minuten keine vollständige Darstellung der Kriegsursachen gegeben werden kann. Allerdings muss vier Monate nach Ende der offensichtlichen Kriegshandlungen doch erwartet werden, dass mehr als nur die damals benutzten Klischees geliefert werden. Wir möchten in diesem Zusammenhang nur einige Punkte ansprechen:
1. Beispielsweise fanden wir es bezeichnend und bedauerlich, dass erneut einseitig eine Personalisierung des Konfliktes betrieben wurde. In plakativen Schnittfolgen wurden die Bilder Vladimir Putins und Michail Saakaschwilis so montiert, dass der Eindruck entstehen mußte, als ob sich zwei völlig gleichartige Machthaber ein Duell liefern würden. Der Präsident Georgiens wird einerseits als Negativfigur aufgebaut, andererseits hat das Exklusivinterview mit dieser tatsächlich oder vermeintlich zweifelhaften Figur aber einen Stellenwert, der dann nur schwer zu verstehen ist. Es wäre doch weitaus leichter gewesen, beispielsweise die russische Menschenrechtlerin Tatjana Lokschina und die anderen Mitarbeiter von Human Rights Watch, die in der Konfliktregion vor Ort waren, zu befragen. Die Suche nach Guten und Bösen ließ offenbar auch keinen Raum im bundesdeutschen Fernsehen für die Handvoll russischer Liberaler, die sich überhaupt noch trauen, die Außenpolitik ihrer Regierung zu kritisieren. Das ZDF scheint diese Ressourcen der Zivilgesellschaft aber nicht sonderlich interessant zu finden. Worin liegt dagegen der Wert einer Informationsquelle wie Saakaschwili, die bereits im Vorfeld als parteilich denunziert wurde? Wenn man lediglich die Absicht hatte, die personalisierten Kombattanten zu Wort kommen zu lassen, warum schloss sich dann in dieser Logik kein Interview mit Präsident Medwedew oder Herrn Putin an? Zudem dürften den verantwortlichen Redakteuren doch bekannt gewesen sein, dass mittlerweile die Schweizer Botschafterin Heidi Tagliavini, die persönlichen Vertreterin des Amtierenden Vorsitzenden der OSZE für Missionen im Kaukasus, zur Leiterin einer Kommission zur Untersuchung der Kriegsursachen berufen wurde. Dafür wurden Mittel in Höhe von 1,6 Millionen Euro bereitgestellt. Die Untersuchungen sollen bis September 2009 abgeschlossen sein. Es sollte einem klugen, investigativem Journalismus doch möglich sein, Frau Tagliavani zumindest einen Zwischenkommentar zu entlocken. In jedem Fall wäre ein Verweis auf die Arbeit dieser Kommission ein Gebot der journalistischen Redlichkeit gewesen, oder meint das ZDF im Ernst, dass es in kürzerer Zeit mit geringeren Mitteln der Wahrheit näher gekommen wäre? Anstatt über die Einhaltung des von Präsident Sarkozy ausgehandelten Sechs Punkte Plans zu berichten und dazu seit Anfang Oktober in den Konfliktgebieten tätige EU Beobachter, z.B. den deutschen Diplomaten Hansjörg Haber zu befragen, werden erneut offizielle Regierungsvertreter befragt, die im gleichen Zuge als parteilich demontiert werden. Auch die Kommentare von David Gamkrelidze, einem auch in der Bevölkerung mehr als umstrittenen Oppositionspolitikers dienen eher der erneuten, einseitigen Fokussierung auf den Präsidenten Saakaschwili. Auf diese Weise kann nur der Eindruck einer unübersichtlichen Propagandaschlacht entstehen, in der es keine Wahrheiten gibt. So nihilistisch sehen wir die Lage aber keineswegs. Herr Strumpf und Frau Gellinek hätten lediglich, anstatt bereits in der Titelwahl eine oberflächliche Glücksspielmetaphorik zu bemühen, die historische Rolle Russlands in dieser Region näher beleuchten müssen, um sich und den Zuschauern ganz zwanglos eine Magistrale zur entscheidenden Erkenntnissen zu erschließen. Damit sind auch bei die beiden Hauptpunkte unserer Kritik angelangt: Der Mangel an historischen Hintergrundinformationen und bestimmte Sprachregelungen, die bundesdeutsche Journalisten als scheinbar unbeteiligte Beobachter in einem Konflikt erscheinen lassen, in dem sie den Kombattanten äquidistanziert gegenüberstehen.
2. Die Frage, wer den Krieg begonnen hat, läßt sich nur beantworten, wenn auf die langfristigen Interessen Russlands in dieser Region hingewiesen wird. Es ist doch offensichtlich, dass bei der medial umgesetzten Genealogie eines Krieges der zweifellos immer auch perspektivisch gesetzte „Beginn“ von entscheidender Bedeutung ist. Wenn Sie den Konflikt lediglich mit den Ereignissen im August 2008 anfangen lassen, bekommen Sie ein anderes Bild, als wenn Sie die Ursprünge weiter zurück datieren. Beide Vorgehensweisen sind in jedem Fall begründungsbedürftig. Im Beitrag des ZDF wird die erste Perspektive aber ohne Angabe von Gründen gleichsam naturwüchsig nahegelegt. Das ist weder im Sinne redlichen historischen Forschens, noch unter Gesichtspunkten eines professionellen Journalismus akzeptabel. Es wäre zumindest darauf hinzuweisen gewesen, dass viele seriöse Wissenschaftler die unmittelbaren Ursachen des Konfliktes zumindest im Jahr 2004 verorten, umfassendere Forschungen einen latenten Kriegszustand seit 1992 konstatieren und wirkliche Kenner der Region darauf verweisen, dass hier von einer dritten Annexion Georgiens durch Russland gesprochen werden kann. Insofern wäre dann der Konfliktbeginn sogar mit dem Jahr 1801 mit dem Folgedatum 1921 anzusetzen.
Wenn man allerdings lediglich den Konflikt zweier wild gewordener Diktatoren ins Bild setzen will, dann ist die vordergründige Vorgehensweise des ZDF klug gewählt. Es entsteht dann der Eindruck, als ob Russland und Georgien zwei gleichermaßen imperiale Mächte wären und die bundesdeutschen Journalisten in der Berichterstattung nur das Credo des Bundeswehrgenerals a.D., Klaus Reinhardt, nachvollziehen, der beide Konfliktparteien offenbar für verdiente Verlierer hält und lediglich die EU als gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen lässt. Bisher sind wir davon ausgegangenen, dass Georgiens Weg in den Westen im gemeinsamen Interesse sowohl der USA und der Europäer läge. Der Beitrag im ZDF legt nahe, dass Georgien lediglich eine kaukasische Analogie zu den lateinamerikanischen Bananenrepubliken sei. Eine überdimensionierte US-amerikanische Botschaft und nordamerikanische Ausbilder der georgischen Armee werden dafür als plakative Belege genommen. Wir möchten in diesem Zusammenhang fragen, ob ein analoger Befund für die Bundesrepublik Deutschland, der sich ebenso schnell herstellen ließe, im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Senders Akzeptanz fände? Rein sachlich wird auch hier übrigens unterschlagen, dass es diese Ausbilder bereits während der Amtszeit Eduard Schewardnadses gab, der weit bessere Beziehungen zur russischen Nomenklatura unterhielt als sein Nachfolger. Dass zudem georgische Offiziere an Hochschulen der Bundeswehr ausgebildet werden und Franzosen am Bau von Militärbasen beteiligt waren, wäre immerhin ebenfalls erwähnenswert gewesen. Vielleicht sollten sich bundesdeutsche Journalisten von Zeit zu Zeit einmal daran erinnern, dass in diesem Konflikt Werte verhandelt werden, die auch ihren Vorstellungen von einer freien Berichterstattung zugrunde liegen. Roland Stumpf beschreibt im Internetbegleittext zur Sendung den Unmut seiner westlichen Kollegen, die sich über die ständige Überwachung und die Hindernisse bei einer objektiven Berichterstattung beschweren. Ihm selbst ist dazu nicht viel mehr eingefallen, als leitmotivisch einen Pressesprecher der russischen Armee als Begleitung durch den Film zu wählen. Vielleicht hilft das ja, durch den selbstinszenierten Propagandadschungel hindurchzufinden, um dann bei „europäischen Interessen“ anzulangen.
3. Neben der Auswahl der Bilder spielen zweifellos bestimmte, immer wieder benutzte, Redewendungen eine entscheidende Rolle, um eine Situation in ihrer Bedeutung festzulegen. Herr Strumpf und Frau Gellinek haben dazu von Anfang an Phrasen, wie „zerrissenes Land“ und „unruhiger Kaukasus“ gewählt, um eine offenbar an sich schon instabile und durch ethnische Konflikte charakterisierte Region zu beschreiben. Untermahlt mit den entsprechenden Bildern des August entsteht der Eindruck einer bemitleidenswerten, aber auch unheimlichen Bürgerkriegsregion, deren Konflikte für den bundesdeutschen Medienkonsumenten fern und trotzdem bedrohlich wirken. Es wird nicht zum ersten Mal der Eindruck erweckt, als würden hier halbwilde kaukasische Bergvölker die alten Großmächte in einen Konflikt ziehen, der für die bundesdeutsche Gemütlichkeit gefährlich werden könnte. Das Ringen dieser Völker um eine halbwegs unabhängige und kontinuierliche Entwicklung wird dabei nicht mehr sichtbar.
Des weiteren wird durch bestimmte, unkritisch übernommene Benennungen der Eindruck erweckt, als ob hier uralte Ethnien von georgischer Seite unterdrückt würden. Das die Begriffe selbst überhaupt erst distinkte Ethnien erzeugen könnten, ist den beiden Journalisten offenbar entgangen. So wird der erst 1922 von bolschewistischen Organisationen kreierte Begriff „Südossetien“ völlig fraglos übernommen und perpetuiert. Zu dem damaligen Zeitpunkt lebten lediglich drei ossetische Familien in der Zkhinwali Region. Gleichzeitig verschiebt man durch die andauernde Wiederholung des Begriffs „Kerngeorgien“ die historischen Grenzen des Landes und bereitet damit semantisch die Zerstörung der völkerrechtlich verbürgten Souveränität und Integrität Georgiens vor. Traditionell ist die Region „Schida Kartli“, für die nun der Ausdruck „Südossetien“ gebraucht wird, „Kerngeorgien“. Es steht den verantwortlichen Journalisten frei, im klar ausgewiesenen Kommentar, den Georgiern den Verzicht auf diese Region nahe zu legen. Hier wird aber mit einer schleichenden Bedeutungsverschiebung der medialen Propaganda Russlands Vorschub geleistet. Wir möchten davon ausgehen, dass dies Herrn Strumpf und Frau Gellinek und vielen anderen bundesdeutschen Journalisten nicht bewusst ist. Nichtsdestotrotz müssten sie wissen, dass mit Bezeichnungen Geschichtspolitik betrieben wird. Wir erwarten keineswegs, dass in diesem Zusammenhang in jedem Fall den georgischen Quellen und deren Interpretation gefolgt wird. Ein seriöser Journalismus muss den semantisch umkämpften Charakter dieser Bezeichnungen aber zumindest erwähnen.
Andere, scheinbar unverfängliche Bedeutungsverschiebungen möchten wir an dieser Stelle nicht alle aufführen. Wenn aber Alexander Lomaia, der Sekretär des georgischen Nationalen Sicherheitsrates, nun unbedingt zum „Chef des mächtigen Sicherheitsrates“ avanciert, werden erneut Konnotationen nahegelegt, die zumindest deutlich gemacht werden sollten. Inwiefern ein für die Verteidigung zuständiges Exekutivorgan eines teilweise okkupierten Landes nun gerade „mächtig“ genannt werden muss, ist doch begründungsbedürftig. Dass die zuständigen Journalisten um diese semantischen Problematik wussten, geht aus dem Interview mit der sogenannten Kaukasusexpertin Marietta König hervor, die allerdings nur auf den von beiden Konfliktparteien gerne bemühten „Faschismusvergleich“ aufmerksam machte und damit wieder nur das Argumentationsklischee des Films von den gleichwertigen Streithähnen bediente. Frau König wurde übrigens in kurzer Zeit zu der Expertin des Konflikts, die von den bundesdeutschen Medien wohl vor allem deshalb so gerne frequentiert wurde, weil sie deren scheinbare Äquidistanz zu den Konfliktparteien mit ihren Kommentaren vollauf bediente. Sie ist vor dem Konflikt nicht durch maßgebliche wissenschaftliche Leistungen aufgefallen.
Selbst wenn wir voraussetzen, dass es den ZDF-Journalisten nicht um eine anspruchsvolle historische und semantische Analyse des Georgienkonfliktes ging, was aufgrund der zeitlichen Limitierung des Formats durchaus schwierig ist, bleibt die Vorgehensweise eigentümlich eindimensional. Auch wenn das Ziel lediglich in der Darstellungen der unmittelbaren Kriegsursachen und
-geschehnisse im August besteht, wären beispielsweise folgende Themen unbedingt zu behandeln gewesen:
- Die hohe Konzentration russischer Truppen an der georgischen Grenze bereits im Mai/Juni.
- Die im Juli durchgeführten Militärübungen (Pressemeldung von 04.07.08 IA REGNUM) in denen Georgien der explizite Gegner war. In diesem Zusammenhang wären auch die Übungen im gesamten Südbezirk und in den nordossetischen Bergen unter der Leitung von General Vladimir Propichev, dem stellvertretenden FSB Direktor zu nennen.
- Im Vorfeld hatten bereits 2002 Militärübungen der 58. Armee in Vladikavkaz stattgefunden, potentieller Gegner: Georgien. 2006 führte die gleiche Armee breit angelegte Übungen in Kabardino-Balkarien, Inguschetien, und Nordossetien durch. An den Übungen mit der Name “Kaukaz 2008” nahm die 58. Armee zusammen mit der 76. Division „pskov“ teil. Diese Division ist in Nalchik (Balkarien) stationiert. Nach den Übungen (am 2. August) sind sie in Saramage (hinter Djava) geblieben (Meldungen “Krasnaja Zvezda”).
- Unterschiedliche Verlautbarungen offizieller und halboffizieller Stellen, aus denen ein unmittelbar bevorstehendes Eingreifen russischer Truppen im Kaukasus hervorging.
- Der Abschuss von drei russischen Drohnen (vor dem Krieg) über Abchasien (im Filmbeitrag werden lediglich georgische Drohnen erwähnt).
- Die Hackerangriffe auf georgische Websites.
- Die Informationen von Human Rights Watch, wonach die Zerstörungen in Zchinwali erst nach dem georgischen Rückzug stattgefunden haben.
Herr Strumpf und Frau Gellinek fanden es offenbar nicht notwendig, diesen Informationen und Hinweisen nachzugehen. Insofern sind sie nicht einmal den elementarsten Voraussetzungen einer auch nur oberflächlichen Berichterstattung nachgekommen. Es ist trivial, dass die täglichen Nachrichten einer solch komplexen Region wie dem Kaukasus mit einer Vielzahl von Sprachen und Glaubensrichtungen nicht gerecht werden können. Wenn aber die Recherchen immer wieder auf gleiche Art geführt, immer die selben Quellen einseitig benutzt und standardisierte Redewendungen und Sprachregelungen übernommen werden, dann wird ein komplexeres, differenzierteres Bild wohl nie entstehen.
Fast noch schmerzlicher hat uns die Dokumentation von Peter Prestel „Abenteuer Wissen“ berührt. Obwohl sich der Beitrag auf dem scheinbar unverfänglichen Gebiet „Kultur“ bewegt, ist er für den Umgang bundesdeutscher Medien mit Georgien fast noch symptomatischer. Die in den hiesigen Medien als hochaktueller Sensationsfund verkauften archäologischen Entdeckungen altertümlicher Goldminen, die den gesamten vorderorientalischen Raum versorgten, gehen auf Ausgrabungen zurück, die in der Region bereits seit 1958 durchgeführt wurden. In den Jahren 1982/83 wurden die Minen von georgischen Geologen entdeckt. Seit 1997 bestehen Kontakte zum Bochumer Bergbau Museum, mit dem gemeinsame Projekte durchgeführt wurden. Die sensationelle Datierung der Funde des Projekt „Die Goldmine“ stammt von Frau Dr. Irina Gambaschidze. Der im Film als Entdecker dargestellte Bergbau-Archäologe Herr Prof. Thomas Stöllner ist einer der Mitarbeiter des Projekts, der zunächst mit Skepsis in das Projekt eingestiegen ist und die Datierung der georgischen Kollegen bis vor kurzen nicht geteilt hat.
Offenbar darf die georgische Politik und Kultur nur in einer bestimmten medialen Vermittlung durch bundesdeutsche Medien existieren, so wie sie zu sowjetischen Zeiten nur in der prismatischen Brechung durch die russische Sprache und Kultur in die Weltöffentlichkeit gelangte. Offenbar ist Georgien nur als exotischer Gegenstand interessant, der sich eilfertig in eine bestimmte Weltordnung einzuordnen hat. Der harte Überlebenskampf der Georgier und ihre kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen sind dabei sekundär. Die deutschen Medien geben sich gerne den Anschein, ein ehrlicher Makler, ein objektiver Faktor zwischen Ost und West zu sein. Die beiden Sendungen des ZDF sprechen eine andere Sprache.
Wir waren immer der Auffassung, dass europäische Politik im 21. Jahrhundert wesentlich Kulturpolitik im weitesten Sinne sein sollte. Kultur ist eine Möglichkeit, auch die oben angesprochenen politischen Krisen besser zu verstehen. Ohne Berücksichtigung der kulturelle Eigenarten werden politische Entscheidungen kaum erfolgreich sein können. Die Medien sollten gerade in diesem Bereich ihre große Verantwortung für eine Verständigung der Kulturen wahrnehmen und helfen, die gemeinsamen europäischen Wurzeln zu entdecken. Eine kulturelle Enteignung der Osteuropäer durch die Westeuropäer dient diesem Ziel wohl kaum. Ein vordergründiger Sensationsjournalismus kann hier viel Vertrauen zerstören und auch politisch problematische Folgen haben. Eine Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer kultureller Werte ist doch nahezu die einzige Chance, die moderne Krise gemeinsam zu überwinden. Hierzu soll doch die Gesellschaft ihre Kräfte mobilisieren. Und doch eine zentrale Aufgabe der Medien, gesellschaftliche Prozesse in diese Richtung zu lenken.
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