Freitag, 7. Januar 2011

Kosmopolitismus und Patriotismus









Washa-Pschawela


Foto: Washa-Pschawela und Alexandre Kazbegi


Wascha-Pschawela (Luka Rasikaschwili), geb. am 26.07.1868 in Tschargali in der Provinz Pschawi im Nordosten Georgiens; gest. am 15.07.1915 in Tbilissi. Er setzte als Schriftsteller das literarische Erbe Ilia Tschawtschawadses und Akaki Zeretelis auf höherer Ebene fort. Sein Werk ist durch naturphilosophisch-poetische Betrachtungen und die Verwendung sprachlicher und dialektaler Eigentümlichkeiten seiner Heimatregion gekennzeichnet. So schuf er Werke, in denen Heimatverbundenheit und Menschheitsliebe in poetischer und zugleich hochreflektierter Weise verbunden wurden.


Manche denken, dass der echte Patriotismus dem Kosmopolitismus widerspricht, aber das ist ein Irrturm. Jeder echte Patriot ist ein Kosmopolit sowie jeder vernünftige Kosmopolit (und nicht wie die unsrigen) ein Patriot ist. Wie? So: Der Mensch, der seinem Volk dient, ist besonnen und versucht, die Vernunft in seinem Land anzustreben, wirtschaftlich und moralisch. Hiermit erzieht er für die ganze Menschheit ihre besten Mitglieder, ihre besten Freunde, trägt bei zur Entwicklung und zum Wohl der ganzen Menschheit.

Wenn es für die Entwicklung der ganzen Nation notwendig ist, einzelne Menschen zu erziehen, so ist es auch notwendig, einzelne Nationen zu erziehen, damit die ganze Menschheit eine sich entwickelnde Gemeinschaft wird. Wenn für den einzelnen Menschen eine nationale Erziehung von Nutzen ist, dann dafür, dass damit jede Nation eine vermehrte Kraft, Energie, Eigenständigkeit aufweist und damit einen eigenen Beitrag in die Menschheitskasse einzahlt...

Jeder Landsmann soll seinem Land mit vollem Einsatz dienen und über seine Nützlichkeit für die Mitbürger nachdenken und soweit seine Mühe vernünftig eingesetzt wird, soweit seine Werke nützlich sind, soweit wird er nützlich für die Menschheit sein. Edison ist ein Amerikaner, er arbeitet in Amerika, aber die Früchte seiner Arbeit „schmecken“ der ganzen Menschheit. Shakespeare ist Engländer, er arbeitete und lebte in England, aber seine Schriften genießt die ganze Menschheit bis heute. Auch Cervantes, Goethe und andere Genies, die für Ihre Mitbrüder schöpferisch tätig waren, werden heute von der ganzen Menschheit wie eigene Kinder betrachtet.


Alle Genies wurden auf ihrem nationalen Boden aufgezogen, wachsen dort heran und werden soweit zu Ruhm gebracht, bis die anderen Nationen sie auch als eigene Kinder angenommen haben. Also, die Genies haben ein Zuhause auch außerhalb ihrer Heimat gefunden, - auf der ganzen Erde, in der ganzen Menschheit, aber nichtsdestotrotz, die Werke der Genies sind eher verständlich und passend auf einem nationalen Boden.


„Hamlet“, „ König Lear“ kann kein anderes Landeskind so genießen, besonders nach einer Übersetzung, wie die Engländer selbst, die auf Englisch diese Werke lesen. Wozu so weit ausholen? Wie kann ein anderes Landeskind den „Recken im Tigerfell“ so genießen und so verstehen, selbst wenn er die beste Übersetzung liest, oder auch gut georgisch kann, wie ein Georgier? – Niemals. Das Genie, als Persönlichkeit und als Individuum hat eine Heimat, eine geliebte, eine verehrte, aber sein Werk hat keine, weil es der ganzen Menschheit gehört, wie die Wissenschaft...

Die Wissenschaft und die Genies öffnen uns den Weg zum Kosmopolitismus, aber nur durch Patriotismus und Nationalismus. Entwickeln Sie eine Nation so lange, dass sie ihren ökonomischen und politischen Zustand richtig versteht, das Gute und das Schlechte seiner sozialen Lage! Überwinden Sie die ökonomische Verkehrtheiten, und so wird zweifellos die Bestrebung beseitigt, dass einer den anderen verschlingt, einer den anderen ausplündert und bekriegt, die heute auf der Erde herrscht!

Patriotismus sowie das Erleben und das Gefühl des Mitseins wird durch Geburt den Mensch mitgegeben und beinhaltet Teile, die kein verständiger Mensch leugnen kann, wie z. B. die Muttersprache, die historische Vergangenheit, berühmte Persönlichkeiten und die nationalen Territorien, Literatur etc. Von dem Augenblick an, in dem das Kind die Welt erblickt, braucht es außer der Luft zum Atmen, dem Bett und einer Bleibe, den Erzieher, die Milch als Nahrung und das Wiegenlied zum Ruhen.

Das alles geschieht in der Familie, unter der Leitung der Mutter und genau hier ist der Anfang des Patriotismus. Der Jüngling empfindet von Anfang an eine enge Verbundenheit mit denen, die mit ihm gesprochen haben, die ihn umgeben haben, - von denen er die ersten Eindrücke bekommt. Deshalb liebt er die Sprache, die er in seiner Jugendzeit gehört hat und betrachtet Menschen als die Seinigen, die in dieser Sprache sprechen oder singen.

Man findet sogar den nur ein klein wenig unterschiedlichen Klang der Sprache, der aus dem eigenen Dorf stammt, schön. Man freut sich selbst dann, jemanden aus dem eigenen Dorf in der Fremde zu treffen, wenn es der Hinterletzte sein sollte. Bis ein Kind aufgewachsen ist und seine Sicht und sein Patriotismus umfassender wird, liebt es zunächst ganz besonders sein Dorf oder die Kleinstadt, wo er geboren und aufgewachsen ist.

Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der einigermaßen denken kann und einigermaßen gesunde Gefühle hat, der nicht seine Nation mehr liebt als andere, oder seine Region mehr als andere. Warum? Darum: Ein und derselbe Mensch wird doch nicht in tausenden von Orten geboren, sondern er wird an einem Ort geboren, in einer Familie, hat eine Mutter! Wenn jemand sagt, dass er alle Nationen gleichermaßen liebt, lügt er, oder stellt sich nur so an, ist einfältig, oder ihm sind von einer Parteiideologie die Hände gebunden. Ein in einem Heim aufgewachsener Bastard, der durch vielleicht tausende von Stimmen erzogen wird, nimmt letztendlich eine Sprache für sich als Muttersprache an und wählt ein Land als Heimat für sich...

Patriotismus ist eher eine Sache des Gefühls als des Verstandes, aber die Vernunft ist immer sein Verehrer und Bewunderer gewesen. Kosmopolitismus ist nur eine Sache der Klugheit, der Menschenvernunft - er hat mit dem Menschenherzen nichts zutun, er ist eine Hervorbringung, um das Unglück zu beseitigen, das bis heute über der Erde schwebt.

Deshalb müssen wir den Kosmopolitismus so verstehen: Liebe deine Nation, dein Land, tue etwas Gutes für dein Land, hasse keine andere Nation, sei nicht neidisch ihnen gegenüber, störe nicht deren Bestrebungen und versuche zu verhindern, dass dein Land benachteiligt wird und es gelangt auf die gleiche Höhe, auf der sich die fortgeschrittenen Nationen befinden. Der, der sich der eigenen Nationalität verweigert, mit dem Gedanken, ein Kosmopolit zu sein, ist ein Mensch mit missgebildeten Gefühlen. Er entgeht ihm, dass er zum Feind der Menschheit wird, der er vorgeblich Treue und Liebe schwört. Gott schütze uns davor, dass wir den Kosmopolitismus derart verstehen, als ob alle eigene Nationalität aufgeben werden sollte. Dann würde die ganze Menschheit sich selbst verneinen. Jede Nation sucht die Freiheit, damit sie sich selbst verwalten kann, durch eigene Kraft sich entwickeln kann. Die Entwicklung der einzelnen Nationen ist die Voraussetzung für die Entwicklung der Menschheit.

Aus dem Georgischen von Marika Lapauri-Burk

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