Sonntag, 4. März 2012

O Tannebaum, o Tannebaum


Dr. Frank Tremmel, Marika Lapauri-Burk

Unsere Gespräche und unser Gedankenaustausch
haben uns beim Recherchieren auf einen Interneteintrag stoßen lassen, den wir weitergesponnen haben. Wir laden unsere Leser und Leserinnen ein, sich an diesem Dialog zu beteiligen, den Sie gerne mit uns, aber auch im eigenen Freiundeskreis führen können. Auf diese Weise könnte, so hoffen wir, ein immer facettenreicheres und umfassenderes Bild der globalen Welt enstehen, in dem die Erfahrungen und Erlebnisse von uns allen ihren Raum finden.


 Hallöchen,
die zwar teurere, aber wesentlich länger haltbare Art von Weihnachtsbäumen, die man jetzt kaufen kann, heißen ja "Nordmann-Tannen". Warum eigentlich? Hat die jemand namens Nordmann entdeckt oder gezüchtet? :-)
Neugierige Grüße
Peggy

Hallo Peggy!
Betreff: Nordmanntanne
Die Nordmanntanne hat ihren Namen von dem finnischen Botaniker Alexander von Nordmann.
Dieser entdeckte diese Tanne 1832 im Kaukasus.
Gruß Max

Hallo Max!
Du schreibst:
"Die Nordmanntanne hat ihren Namen von dem finnischen Botaniker Alexander von Nordmann..."
Hast Du irgendwo eine Biographie etc. von Nordmann gefunden? Ich hätte Interesse an dem betreffenden Literaturhinweis (oder Internet-Link). Ich war immer davon ausgegangen, der Nordmann wäre ein Deutscher gewesen.
Ciao, Manfred

Hallo, Manfred,
leider habe ich nur eine Biographie in Schwedisch gefunden http://www.abo.fi/~bwikgren/biologer/Nordmann.htm daraus geht hervor:
Geboren 1803 in Svensksund (Kotka) etc.... (Hier werden wir das Zitieren etwas verkürzen)...
Grüße, Eckhard

Soweit Peggys Anfrage im Internet vom 4. Dezember 2002 unter www.wer-weiss-was.de
Sehr verehrte Gäste, liebe Freunde Georgiens, wir möchten Ihnen heute Abend zum Neuen Jahr nach altem Kalender, der in Georgien noch bis heute gültig ist, eine Kombination aus einer deutschen und einer georgischen Weihnachtsgeschichte als Weltgeschichte vortragen. Unsere Lesung nimmt das alte georgische Neujahr zum Anlass, noch nicht geäußerte Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Damit ist der Wunschzettel des abendländischen Jahreswechsels erschöpft. Es gibt jedoch viele ähnliche Geschichten, die vielleicht noch in den kommenden Wochen zum Jahreswechsel nach dem ostasiatischen Kalender die Abende füllen werden.

FRANK:Im Mittelpunkt steht – wie in allen Adventsspielen – die Erwartung der Ankunft Christi, die Parusie, aber wir gehen für Sie einen Umweg.
Auch in unseren Zeiten der Globalisierung suchen wir für Sie nach dem Heilenden, aber nicht in der traditionellen Verkündigung, sondern in den Irrungen und Wirrungen des ost-westlichen Wirtschafts- und Kulturaustauschs. Dabei ist der Weihnachtsbaum, der am 4. Advent traditionell im Mittelpunkt vieler vorweihnachtlicher Aktivitäten steht, auch der Dreh- und Angelpunkt unsers Spiels, das insofern auch als Prolog zu einem Paradiesspiel verstanden werden kann. Zu dessen Ausstattung gehörte der immergrüne Paradiesbaum, geschmückt mit roten Äpfeln. Wir wollen Sie von diesem Baum der Erkenntnis kosten lassen, aber wir wollen Ihnen auch einen Ausblick auf den Lebensbaum geben, der nach biblischer Überlieferung in der Mitte des Paradieses neben dem Baum der Erkenntnis steht. Der Lebensbaum ist es, der schon früh mit dem Kreuzesbaum Christi in Verbindung gebracht wurde. Er ist das Zeichen der Hoffnung auf ewiges Leben. Als Weltenbaum ist er die „axis mundi“, die Weltenachse. Den Tannenbaum, von dem unser Spiel handelt, wollen wir als Sinnbild für die vielen Weltmittelpunkte nehmen, die ihre verborgenen Wurzeln ins Erdreich versenken und deren Äste in den Himmel reichen.



MARIKA: Bäume sind für mich wie die Menschen. Sie keimen, schlagen Wurzeln und wachsen. Sie sind abhängig voneinander. So fern, sind sie auch soziale Wesen. Sie sind wie Völker, - unter ihre Artgenossen alle unterschiedlich.

FRANK:Auf unserer Reise durch Zeit und Raum, durch unsere inneren und äußeren Erfahrungen, konfrontieren wir Sie mit den Sündenfällen und Erkenntnissen unserer moderne Welt, aber wir wollen auch die Hoffnung stärken, dass durch die Geburt Christi die Trennung von Gotteswelt und Menschenwelt wieder aufgehoben werden kann, so wie auch unser Baum in der Erde und im Himmel gleichermaßen zuhause ist. Wir führen Sie durch die ost-westlichen Etiketten, Benennungen und Begriffe und hoffen dennoch, dass das ewige Leben dahinter sichtbar wird.

MARIKA:Als ich 1989 zum Musikstudium nach Deutschland kam, wunderte ich mich sehr, dass alle so einen Wirbel um den Weihnachtsbaum veranstalteten. Überhaupt... alle fragten, wie ich denn Weihnachten verbringen würde und als sie meine natürliche, unbekümmerte Antwort hörten, - „nur so, ich bin zu Hause“ … nun ... zu Hause konnte man noch nicht ganz sagen... ich war noch nicht „zu Hause“. Ich, eine exotische Studentin, das heißt eine aus einem exotischen Land, hatte noch kein Haus, - alle waren tief besorgt, versuchten mich zu trösten und luden mich ein: „Komm, zu uns ... nein, du kannst doch nicht zu Weihnachten alleine bleiben!“

Doch, ich konnte... Ich habe gleich verstanden, wie lieb diese Menschen zu mir waren. Aber stimmt nicht ganz ... Ich habe mehr und mehr verstanden, wie lieb diese Menschen zu mir waren, weil ich immer mehr verstand, was es bedeutete, eine exotische arme Studentin zu Weihnachten nach Hause einzuladen. Übrigens: Ich bin weiterhin sehr, sehr lange Jahren noch exotisch geblieben. Zwar keine Studentin, aber doch ein gerne gesehener exotischer Gast bei verschiedenen Feiern und Partys. Bis ich langsam angefangen habe zu zucken, wenn man mich als Exotin vorgestellt oder angesehen hat. Jetzt habe ich andere Befürchtungen, - mein Titel „Exotisch“ wird mir aberkannt! Man hat uns etwa näher kennengelernt. ....“Ach! aus dem Kaukasus!“, „Ah, aus Georgien!“ - ich denke, - jetzt wird die Sache ernst, sehr ernst!

FRANK:Uns geht es nicht um die Frage nach dem ersten Weihnachtsbaum, nicht darum, ob dieser nun 1419 von der Freiburger Bäckerschaft aufgestellt wurde, ob das Rechnungsbuch der Humanistischen Bibliothek in Schlettstett mit seiner ersten Erwähnung im Jahre 1521 recht hat oder ob der Baum 1539 im Straßburger Münster seine realgeschichtliche Premiere feierte. Dieser Streit um den ersten Baum, der in historischer und – wie wir zeigen werden – geographischer Hinsicht bis heute anhält, ist für uns nur der Hintergrund, vor dem unsere Suche nach dem wahren Christbaum stattfinden wird. Dabei soll uns auch das Diktum des Predigers am Münster zu Straßburg, Johann Conrad Dannhauer, aus der Zeit zwischen 1642 und 1646 nicht vom Weg abbringen, in dem es heißt:
„Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt, und ihn hernach abschüttelt und abblühen (abräumen) lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel“.


MARIKA:Unser bester Tannenbaumschmuck stammte aus der DDR. Keine Kugeln, sondern Häuser und Figuren, Musikinstrumente, Tiere. Später, in Deutschland, habe ich genau die gesucht, wunderschöner Schmuck aus dem Erzgebirge.
Nur als Kinder haben wir einige Male einen richtigen und großen Baum zum neuen Jahr gehabt. Da waren wir alle stolz, vor allem mein Vater, - dass er so etwas Unübliches für uns zustande gebracht hatte. Es waren nicht viele, die solche Tanne zuhause aufstellen konnten. Wir alle gingen damals oft zu einer öffentlichen Tannenfeier. Das war ein Konzert mit s.G. “Schnee man” -Tovlis babua, Konzert, Geschenke und all dem was Kinder mögen.
Die „Neylon Tannen“ wie man sie nannte, gab es noch nicht. Man schmückte oft irgendeine Zimmerpflanze. Auf dem Lande bei uns in Kakheti war das eine Zitruspflanze, eine Topfpflanze, die mit Süßigkeiten, mit selbstgemachten Gegenständen geschmückt wurde.
Neylon, oder Plastiktannen gab es später. Sie waren begehrt. Ich weiß nicht mehr woher sie kamen, chinesische Produkte gab es ja noch nicht... Plastik war im unserem Haus verpönt und wurde von meiner Mutter abgelehnt. Wir haben die unteren Zweige eines Baumes irgendwo abgeschnitten und an die Wände gehängt.

FRANK:Mit der kurzen Antwort auf Peggys Internetanfrage werden wir auf unserer Suche nach dem universalen Weihnachtsbaum mitten in die alten und neuen Ost-West-Gegensätze hineingeführt. Aus dem spärlichen Hinweis auf eine schwedische Website, den Eckhard Peggy auf ihre Frage noch 2002 gab, ist mittlerweile eine Fülle neuer Beiträge und Kommentare geworden. Alexander von Nordmann, ein westlicher Botaniker, ein neugieriger Forscher, der die Flora des Russischen Zarenreiches erkundete und dabei im Kaukasus ganz beiläufig eine Fichtenart katalogisierte – wie bereits in der Vergangenheit, verbinden sich im Symbol des Weihnachtsbaum die unterschiedlichsten Kulturen, die verschiedenen Regionen der Erde zu einer widersprüchlichen Einheit. So wie Georgien zuweilen als das paradoxe Spiegelbild des Abendlandes bezeichnet wurde, so ist auch die kaukasische Fichte Ausdruck der doppeldeutigen Identität Europas, der vielleicht einzigen Kultur, in der sich das Fremde und das Eigene, das Natürliche und das Reflektierte immer wieder begegnen, ohne zu einer kompakten Identität zu verschmelzen. So wie das Christentum immer ein Stück Orient in der griechischen Kultur der Freiheit bleiben wird, so wie sich im Weihnachtsbaum vorchristliche Bräuche und christliches Erlösungsbedürfnis verbinden, so gehört auch die kaukasische Fichte zu dieser Polyphonie höchst unterschiedlicher Elemente. Europa als Gespräch – diese Vision geriet in den zurückliegenden Jahrhunderten immer wieder in Vergessenheit.



MARIKA:Ich war in Kiel. Das ganze Jahr hatte ich eine grüne Jacke angehabt, die ich mit Bedacht gekauft habe, - im Winter hatte ich sie über dem Pullover angezogen, im Sommer über ein T-Shirt. Ein ganzes Jahr immergrün sein! Ich kann es genau nachvollziehen, was es bedeutet!
Und noch etwas, - die Sonne. Gott sei Dank, dass die Klimaveränderung stattgefunden hat. Ich kann genau, ganz genau vergleichen, - Deutschland Ende der 80-er, Anfang der 90-er, - es schien keine Sonne! Jedenfalls nicht in Kiel und in Lübeck. Um einen Espresso zu trinken, musste man gezielt zu einem Italiener fahren und um einen kleinen Bund Koriander zu erhalten musste man die ganze Stadt durchqueren und ihn für 2 DM (!) beim „Asiaten“ kaufen.
Daher weiß ich auch alles so genau. Es ändert sich vieles und manchmal von heute auf morgen. Ein Wiedersehen gibt es nicht.

FRANK: In einem der ältesten christlichen Länder der Erde, das durch die mediterrane Kultur, das byzantinische Erbe und die mittelalterlichen sozialen Lebensformen mit Europa seit alters her verknüpft war, in diesem verlorengegangenen Teil Europas wird ein Baum entdeckt, der heute als Weihnachtsbaum die westeuropäischen Wohnzimmer schmückt.

Diese eigentümliche Wiederkehr nach Europa erfolgt aber nicht als Einzug des vatikanischen Weihnachtsbaumes auf dem Petersplatz, nicht als Einzug des georgischen Vollmitglieds in das Brüsseler Parlament der Weihnachtsbäume, nein, es kommen Tannenzapfen als Rohprodukte zur Weitervermarktung. Lassen Sie uns einen Blick auf Karl Moser werfen, von seinen Freunden Charly genannt, der sich als Einziger in Deutschland in großem Stil in dem harten Geschäft des internationalen Tannensamenhandels zu behaupten weiß. Charlys Erfahrungen, wie sie im Tagesspiegel vom 24.12.2010 beschrieben werden, sprechen eine deutliche Sprache.

MARIKA:„Seit 1988, da war Georgien noch Sowjetunion, und in deutschen Weihnachtswohnzimmern pieksten noch mehrheitlich Blautannen die Finger. Anfangs kämpfte Moser monatelang für Einreiseerlaubnisse und Sondergenehmigungen. Das wurde nach Perestroika und Mauerfall leichter. Allerdings muss Moser seither um Pflücklizenzen für die Zapfen kämpfen, weil die Regierung in Tiflis erkannt hat, dass damit Geld zu machen ist. Und immer kämpft er mit dem Wetter und den Wegen bis rauf auf 1600 Meter ins Gebirge, steile Wege aus knietiefem Matsch, bezwingbar nur mit Jeep und besten Nerven. Dort oben riskieren Jahr um Jahr georgische Zapfenpflücker ihr Leben, indem sie ohne jede Sicherung in die Bäume steigen, äffchengleich von Ast zu Ast, bis sie in der Krone angekommen sind, in schwankender Höhe, von wo aus sie die geschlossenen Zapfen zur Erde werfen.“

FRANK: Die begehrten Zapfen, die als Basis für die hiesigen Züchtungen verwendet werden, wachsen nur in einer bestimmten Region in den Baumkronen. Diese Lage verursacht eine erhebliche Konkurrenz zwischen den Sammlern und erhöht das Risiko von Arbeitsunfällen.

Georgien, das ursprünglich eng mit Europa verbunden war, dann aus der christlichen Universalgeschichte herausfällt, aber fortwährend den Anschluss an die europäische Entwicklung suchte, bleibt kulturell Terra incognita, während seine Rohstoffe hochwillkommen sind. Im Schicksal der kaukasischen Fichte spiegelt sich erneut das Schicksal Georgiens, wie es sich bereits in der Lebensgeschichte und den Reisen des Priesters und Gelehrten Sulchan-Saba Orbeliani im 18. Jahrhundert abzeichnete. Sabas Vermächtnis und seine Bemühungen sind später oftmals mit denen Ilia Tschavtschavadzes verglichen worden. Sulchan-Saba wirkte in einer Epoche, in der Georgien seine schlimmste Zeit erlebte. In ihm als ideeller Person überlebte die geistige Kultur Georgiens für ein ganzes Jahrhundert, bis sie im Wirken Ilia Tschawtschwadses und seiner Zeitgenossen wieder auferstand. So wie Sulchan-Saba in der Zeit nach dem Zerfall des Byzantinischen Reiches, in der Georgien aus dem Gravitationsfeld der abendländischen Geschichte herausgeschleudert wurde, für sein Volk nach einen neuen Platz im politischen Orbit suchte, so sucht Georgien auch gegenwärtig seine Weltenachse. Dabei macht die heutige georgische Elite ganz ähnliche Erfahrungen wie Sulchan-Saba, der in diplomatischer Mission für seinen König Wachtang VI. Papst Clemens XI. in Rom besuchte und an den Hof König Ludwig XIV. in Versailles reiste. Die Metamorphosen der Weltgeschichte, in denen das christliche Abendland, von dem er träumte, unterging, ließen ihn im Sinne seiner Vision zu spät kommen. Weder der französische König noch der Papst zeigten ernsthaftes Interesse. Das alte christliche Zentrum des abendländischen Daseins zerbrach – es bildeten sich neue Zentren, neue Peripherien und Semiperipherien heraus, in denen Georgien an den Rand geschleudert wurde und seine Menschen als Rohstoff anbieten musste. Georgiens „niemals preiszugebende Liebe zu den Griechen“, dem letzten Vermächtnis Wachtang Gorgassalis, d.h. die Orientierung nach Westen, erwies sich erneut als unerwiderte Liebe.
Aber wo liegt heute überhaupt der Westen? Und wo ist der Orient der Orientierung in dieser Zeit?

MARIKA: In Georgien, dort wo die Tannenzapfen gesammelt werden, in Ratscha und in der Nachbarregion, in Svanetien, werden die traditionellen Musikinstrumente aus Tannenholz gebaut.
So lebt ein Baum in einem Instrument weiter. Diese Musikinstrumente, soweit man sie erforscht hat, sind die ältesten heute in der Praxis noch erhaltenen Instrumente. Im ganzen Kaukasus gab es all diese Instrumenten, nur in Georgien sind sie bis heute erhalten geblieben. Changi , ein harfenartiges Instrument, Panduri, ein Saiteninstrument, Chunuri (in Ratscha heißt es Chianuri) ein Streichinstrument. Ebani gibt es nicht mehr. Das kennt man nur noch aus Beschreibungen. Die Namen von diesen Instrumenten deuten auf eine Herkunft aus den sumerischen Sprachen. Eine Bronzefigur gefunden in Kazbegi, der Mann mit der Harfe stammt aus dem 6. Jahrhundert. In diesen Regionen werden die Instrumente für Totenrituale eingesetzt. Vor der Beerdigung sitzt ein Harfenspieler und besingt den Verstorbenen. Er erwähnt alle aus der Familie, die schon im Jenseits sind. Ein anderer Brauch ist bis heute lebendig, - wenn jemand verunglückt ist, in eine tiefe Schlucht gestürzt ist oder in einem ....Bergfluss ertrunken ist, durch eine Lawine umgekommen ist, geht man, das Instrument spielend, ihn suchen und da wo das Instrument verstummt, soll der Leiche zu finden sein.

FRANK: Wenn ein Forscher aus dem in der Geschichte verbliebenen Europa einen Baum entdeckt, der heute von der westlichen Werbung als echter oder originaler Weihnachtsbaum gepriesen wird, so stellt sich die Frage: Ist das Ironie der Geschichte oder vielleicht eher ein Hinweis darauf, dass unser westlicher Universalismus so universal nicht ist? In einem Werbespot informiert uns die Tanne selbst unter der Überschrift Christbaum Tradition – Nordmann-Original:

MARIKA:„Mich gibt s schon seit vielen Tausend Jahren. Meine Heimat ist der Kaukasus. Wo mich vor ungefähr 150 Jahren ein netter Botaniker entdeckt hat, der aus dem hohen Norden kam und witzigerweise Nordmann hieß. Er hat mir seinen Namen gegeben – ich finde, der passt gut zu mir. Weil ich wirklich ganz echt bin, bin ein original Nordmann. Und ziemlich stolz...“

FRANK:Die westliche „Entdeckung“ des Baumes fällt in eine Epoche der von Europa ausgehenden Expansion und industriellen Umformung unseres Sterns, in der sich naturwissenschaftlicher Forscherdrang mit immenser Bedürfnissteigerung und Raumerweiterung verbindet. Es ist die Zeit, in der die British East India Company die Fürstentümer des indischen Subkontinent unterwarf, Georgien durch das sogenannte „Georgievski Traktat“ 1801 seine Unabhängigkeit an das Zarenreich verlor, die russische Eroberung von Nord-Aserbaidschan begann und kurze Zeit darauf die Engländer und Franzosen in den Opiumkriegen die wirtschaftliche Öffnung Chinas erzwingen. Es ist die Zeit, in der nun auch verstärkt wissenschaftliche Expeditionen unternommen werden. Es waren zunächst deutsche Forscher wie Jacob Reinegg, Julius von Klaproth und August Franz von Haxthausen , die noch vor den Kaufleuten der East India Company, oftmals im Auftrag des Zaren, in den Kaukasus reisten, um Mineralien, Pflanzen, Tiere und die menschlichen Kulturen und Sprachen zu kartographierten. So erging es auch der kaukasischen Fichte.
Ihr Weg von der kartographischen Erfassung zum patentierten brand war vorgezeichnet. Die industrielle Reproduktion des Originals ist heute sichergestellt. Die Originalität ist einem strengen Qualitätsmanagement unterworden worden, über das unter anderem das größte Weihnachtsbaumforschungsinstitut Europas in Dänemark wacht. Wichtig ist die ständige Verfügbarkeit für die Verbraucher auf den expandierenden Märkten der Welt, zu Land und zu Wasser. Dies dokumentiert ein Auschnitt aus der Werbung der Firma “Nordmann-Original”:

MARIKA:Der Weihnachtsbaum im Kühlschrank
Weihnachtstraditionen sind stark. Sie führen ein Eigenleben und lassen sich nicht so einfach von widrigen Umständen unterkriegen. Werden Menschen durch ihren Beruf gezwungen, während der Weihnachtstage fern der Heimat zu sein, entstehen die abenteuerlichsten Ideen, um das Fest dennoch würdig begehen zu können.

Besonders Seeleute trifft es hart – sie sind Weihnachten häufig auf hoher See und damit nicht mit ihrer Familie zusammen. So feiern echte Nordmänner in der Südsee, Phillippinos im kalten Atlantik. Doch dass die Stimmung nicht zu kurz kommt, dafür sorgt die Mannschaft schon im Vorwege. So hat zum Beispiel der 334 Meter lange Containerfrachter „Ever Conquest“ seinen Tannenbaum mit dem Lebensmittelvorrat für zwei Monate zusammen im Kühlraum. Dort hat die kleine Tanne bereits Eis angesetzt und harrt ihrem Einsatz zu Weihnachten. Die „Ever Conquest“ wird sich dann wahrscheinlich im Suez-Kanal befinden, während die dienstfreie Mannschaft Weihnachtslieder singt und den Heiligen Abend zusammen feiert. Wer keine Tanne im Gefrierschrank hat, muss aber auch nicht traurig sein. Denn seit fünfzehn Jahren veranstaltet das Nordmann-Informationszentrum Mitte Dezember die legendäre Aktion „Ein Tannenbaum für alle Schiffe im Hamburger Hafen“. Dabei wird jedem Schiff, dass Weihnachten nicht im Heimathafen verbringt eine wunderschöne Nordmanntanne vom Weihnachtsmann höchstpersönlich übergeben. Und wenn mal eine beim kräftigen Wurf von Reling zu Reling über Bord fällt, ist meistens ein Schlepper in der Nähe, der das wertvolle Grün wieder aus dem Wasser „fischt“!


FRANK:Alexander von Nordmann entpuppt sich bei näherem Nachforschen tatsächlich als finnischer Naturhistoriker und Botaniker, der 1803 in Svensksund in der Stadt Kotka geboren wurde. Nach seinen Studien in Åbo/Turku, wo er promovierte, und in Berlin wurde er 1832 Lehrer für Naturgeschichte, Zoologie und Botanik am Lyzeum Richelieu in Odessa. Er blieb dort bis 1849. Finnland war bis 1917 als Großfürstentum Teil des Russischen Imperiums und auch Nordmanns Teilnahme an Anatole Demidoff’s Südrußland-Expedition von 1837 bis 1840 diente vor allem der der Entdeckung von Rohstoffen. Demidoff, ein russischer Großindustrieller war der Erbe eines alten russischen Bergbau- und Stahlproduktionsimperium im Ural. Durch seine Forschungen in Südrussland, auf der Krim, in Ungarn, der Walachei und Moldavien sollten geografische, geologische, zoologische, botanische und soziologische Erkenntnisse über die untersuchten Gegenden gewonnen werden, von denen man sich durchaus eine praktischen Nutzen versprach. Lediglich die Tatsache, dass das Unternehmen von Paris aus geleitet wurde, erregte den Unmut des Zaren. Die Abies nordmanniana, d.h. die standardsprachliche Nordmanntanne, verdankt ihre sogenannte „Entdeckung“ nahe Borjormi in Georgien 1838 insofern durchaus den merkantilen Interessen des Russischen Reiches und seiner westlichen Geldgeber. Ähnliches können wir getrost auch für die von Nordmann in Odessa eingerichtete Abteilung für Seidenraupenzucht an der von ihm gegründeten Hochschule für Gartenbau vermuten.

MARIKA:Wir wollten dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum mehr kaufen. Robin, ist jetzt 14 und in der Pubertät. Er mag und möchte nichts. Tür zu. Keinen schönen Weihnachtsschmuck, den wir seit Jahren sorgfältig jedes Jahr nachgekauft haben.

FRANK:Die Beschreibung des Naturforschers Nordmann wird also zum Startsignal für diverse Begehrlichkeiten, die zu Ost-West-(Miss-) Verständnissen führen. Auf dem Weg von der unberührten Natur zum industriell reproduzierbaren Kulturgut erfuhren wir, wie die Tanne aus Georgien zu einem globalisierten Objekt der Forschung und der ökonomischen Verwertung wurde. Der Baum wird in den unterschiedlichen Aneignungsstrategien als kulturelles, ökonomisches und politisches Objekt im Ost-Westaustausch überhaupt erst konstruiert. Dieser Prozess geht soweit, dass diese Art von Fichte am Ende sogar geklont wird. Selbstverständlich darf über den Anstrengungen um die industrielle Reproduzierbarkeit das Originale, das Archetypische des Weihnachtsbaums nicht verloren gehen. So sagt die Tanne aus dem Werbespot:

MARIKA:„Das wichtigste sind meine Gene...“ – Versteht mich jetzt nicht falsch: Ich bin durch und durch natürlich – mit Gentechnik oder Genmanipulation habe ich nichts zu tun. Ist auch gar nicht nötig, denn ich bin von Natur aus besonders gut gelungen. Und deshalb darf ich mich auch original Nordmann nennen, weil ich wirklich original bin...“

FRANK:Die Frage nach der Essenz des Baumes – kontrafaktisch und ironisch gebrochen – stellt sich also doch immer wieder neu. Gibt es den wahren, den substantiell echten Baum und wo ist es zu suchen? Durch die perspektivischen Erschließungen und Verfremdungen des Baumes scheint auch die unerfüllte Sehnsucht nach dem authentischen und christlichen Lebens hindurch.
Eine enorme ökonomische und wissenschaftliche Daseinserweiterung geht einher mit kulturellem Provinzialismus. Anstelle eines wirklichen Weltenbaumes tritt die industrielle Reproduktion und Globalisierung unserer westlichen Etikettierungen.

So wie die kaukasische Fichte in einem botanischen Institut in Odessa kulturgeschichtlich zunächst nur als Nordmanntanne existierte, so konnte Georgien nur unter der Herrschaft des Russischen Imperiums eine eingeschränkte europäische Bedeutsamkeit behalten. Die Vereinheitlichung der Welt lässt das Bildnis des Weltenbaumes in tausende von Scherben zerspringen.
Vielleicht erweist sich die Suche nach dem einen Weltenbaum, dem einen Stern, um den Georgien seine Umlaufbahn zieht, aber gerade als vergeblich. So wie die Welt heute insesamt keine eindeutigen Orientierungspunkte mehr kennt, so wird auch in Georgien über eine Vielfalt neuer Modelle diskutiert: Gestern die Schweiz und Singapur, heute die USA, morgen Hong Kong und Dubai. Auch die Zentren, die politischen wie die der Tannenbaumverwertung, sind heute nicht mehr an ständigen Satelliten interessiert. Wie heißt es im Berliner Tagesspiegel vom 24ten:„Die politische Lage ist am Rande auch Thema in Ministerien und Laboratorien. Abhängigkeiten von einem Land, unsicher wie Georgien, sollen vermieden werden. Auch wenn es nur um Weihnachtsbäume geht.“

MARIKA:Über Weihnachtsbäume und das Zapfen-Geschäft zwischen Georgien und Deutschland war ich damals schon im Bilde. Als ich nach Georgien flog, diese erste Reisen ins verdunkelte Georgien waren besonders... In der Maschine saßen wir zu dritt oder zu zweit… still... ich werde dieses komisches Gefühl nicht vergessen, und so eine besondere Anspannung in Aussicht auf das Wiedersehen, - langsam habe ich auch verstanden, - es gibt kein Wiedersehen. Ein unbeschreibliches Gefühl vor der Landung des Flugzeugs – nun mit schwer erkämpftem Ticket in der randvollen Maschine – ich möchte eigentlich nicht aussteigen.

Ich will es nicht benennen, aber – sei jetzt ehrlich Marika, - es ist doch Angst. Du hast Angst, etwas nicht wiederzusehen. Es ist Angst davor, etwas zu sehen. Jede Kleinigkeit, ja, sogar ein Mülleimer, der beim letzten Hinfliegen nicht in der Halle stand, - ist für mich eine Rettung! Sie können es nicht glauben, aber das ist die Wahrheit!
Ich sagte Zapfengeschäft… wenn man zu dritt oder zu zweit fliegt erfährt man auch, dass die Zapfen transportiert werden. Weil ich im Norden lebte, wusste ich auch von dem seltenen georgischen Geschäftsmann, der hier die Zapfen lieferte. Mit einem besonderen Ton in der Stimme sagte man mir auch, - „Das ist einzige Exportware zur Zeit für uns! Was denkst Du, wem gehört diese Business?“ Als Antwort mache ich nur ein schlaues Gesicht und wir wechseln das Thema.

FRANK:Eines ist immerhin gewiß in unserer wechselhaften multipolaren Welt: Der Weihnachtsbaum hat seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Er wurde kommerziell tatsächlich zum Weltenbaum schlechthin. Vor allem die Nordmanntanne wird verstärkt ins Ausland exportiert. So fliegt die Lufthansa bereits Bäume nach Abu Dhabi und Dubai. In Kühlcontainern werden frisch geschlagene Weihnachtsbäume sogar bis nach China verschifft. Die Ware wird inzwischen knapp. Die Meterpreise liegen mittlerweile bei rund 20 Euro für gutgewachsene Nordmanntannen. Die 88 Prozent der Deutschen, die sich einen Weihnachtsbaum in die Wohnung stellen, müssen sich auf steigende Preise einstellen. Aber auch in diesem Jahr wurden, nach Schätzung des Verbands der Deutschen Holzindustrie, nahezu 500 Millionen Euro für diesen Brauch ausgeben. Die vielzitierte Binnennachfrage ist offenbar kein Problem. Rund 70 Prozent der verkauften Bäume sind nach Angaben der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) heimische Gewächse, der Rest wird hauptsächlich aus Dänemark importiert. Allein rund 38.000 Hektar Plantagen für Christbäume gibt es in Deutschland – 7500 Bäume pro Hektar Aber auch in Zeiten der industriellen Reproduktion des Lebensbaumes erfüllen nur 50 bis 60 Prozent der Bäume die strengen Qualitätskriterien. Auch der Mehrbedarf an Arbeitskraft wir ost-west-übergreifend beschafft. Saisonkräfte aus Polen sichern das Weihnachtsgeschäft. Kompetente Hilfe für die Düngung kommt aus dem Land des Weihnachtsbaumforschungsinstitutes. Die Dänen helfen auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse bei der fachgerechten Düngung. Als Optimum erwiesen sich 70 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr, das in Dänemark sogar gesetzlich sanktioniert wurde. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung ist das weiterverarbeitete Spezialprodukt Nordmanntanne eine große Chance für kleine Länder. Dänemark ist Exporteuropameister von Tannen. Rund zehn Millionen Bäume und 35.000 Tonnen Tannenzweige führt Dänemark jedes Jahr in andere europäische Länder aus, vor allem nach Deutschland. 95 Prozent der exportierten Bäume sind die begehrten Nordmann-Tannen. Allein für das vergangene Jahr dürften die 4000 dänischen Weihnachtsbaumzüchter insgesamt 148 Millionen Euro Umsatz realisiert haben. Diese Zahlen verdeutlichen die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Samen aus dem Kaukasus. Die globale ökonomische Verwertung der kaukasischen Fichte könnte zum biopolitischen Einflussfaktor werden. So berichteten die Fuldaer Nachrichten vom 3. Januar 2009 Interessantes aus dem Biosphärenreservat Rhön. Dort wird versucht, den Gästen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Türkei, Iran und aus Russland nahezulegen, ihren Genpool an Biodiversität als Raumordnungsinstrumentarium zu nutzen. Die Nordmanntanne ist dabei nur ein Aspekt der zukünftigen biostrategischen Bedeutung des Kaukasus. Heinrich Schmauder vom Bundesamt für Naturschutz führte aus:„Der Kaukasus ist aus unserer Sicht ein Gen-Pool, wenn es um die Welternährung der Zukunft geht. Allein in Georgien gedeihen noch über 20 Weizensorten. Leider sind die politischen Rahmenbedingungen sehr schwierig. Wir haben in dieser Gruppe ja sogar Vertreter aus Ländern, die sich teilweise kriegerisch gegenüber stehen. Deshalb könnte aus unserer Sicht die Ausweisung Länder übergreifender Nationalparke oder Biosphärenreservate dazu beitragen, sich auch politisch wieder anzunähern. Georgien, Armenien, Aserbaidschan, der Iran und die Türkei sind wahre,Hot-Spots' der Biodiversität."

MARIKA:Ich kann genau erinnern, als es die ersten Nordmann Tannen in Deutschland zu kaufen gab neben pieksenden Fichten, die ihre picksenden Nadeln unverschämter Weise bereits innerhalb von 2 Tagen verloren. Deutsche Weihnachten wurden für mich meine erste methodische Einübung in Integration. Ich habe gebacken, Adventskerzen angezündet, selbstgemachte Karten abgeschickt, später mit meinen Sohn riesengroße Knusperhäuser gebacken. Übrigens wurden mit den Jahren daraus Türme, u. a. auch svanetische, weil wir jedes Jahr Dacheinsturzprobleme hatten!)
Nordmann Tannen waren nichts für mein Portemonnaie, - sie waren dreimal so teuer!



FRANK:Nach der Entdeckung durch Alexander von Nordmann und seine Beschreibung ging die kaukasische Fichte den Weg über den wissenschaftlichen Begriff zur ökonomischen Verwertung. Aus einem Baumsamen, dessen besondere Eigenschaften in Ambrolauri durch Waldbrände vor 150 Jahren zustande kamen wurde zunächst die botanisch erfasste Nordmanntanne und am Ende der in industrieller Massenzüchtung hergestellte „Original Weihnachtsbaum“ als brand. Aber lassen Sie uns nicht zynisch werden: Der Weg vom Leben zur baren Münze steht unter einer Idee, ohne die der gesamte Prozess sinnlos würde: Dem Christbaum als wahrer Mitte der Welt. Selbst zum Kitsch geronnen vermittelt diese Idee doch den gesamten Weltprozess des Tannenbaumgeschäfts. Auch wenn aus dem Weltenbaum ein Massenkonsumgut mit maximal 14tägiger Lebenserwartung wurde, dass anschließend von der kommunalen Stadtreinigung kostenfrei entsorgt wird – so bleibt doch selbst noch der Schmerz über die tausende von Baumleichen auf unseren Straßen nur durch den Glauben verstehbar. Im Hintergrund wird die Frage nach der Essenz des Baumes – gleichsam kontrafaktisch und ironisch gebrochen – immer wieder gestellt. Gibt es den wahren, den substantiell echten Baum? Durch die perspektivischen Erschließungen und Verfremdungen des Baumes scheint die unerfüllte Sehnsucht nach dem authentischen und christlichen Lebens hindurch. Das Opfer der Tanne, ihr alljährliches Golgatha zu Weihnachten, ist Ironie und Parusie zugleich. Nochmals die Tanne im Werbespot:„Das Weihnachtsfest ist der Höhepunkt im Leben eines jeden Weihnachtsbaums. Wir stehen herrlich geschmückt im Mittelpunkt – alle schauen auf uns und freuen sich. Es werden Lieder gesungen, schöne Geschenke liegen uns zu Füßen und alle sind glücklich. Ich auch: Frohe Weihnachten...“

MARIKA: Wir wollten dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum mehr kaufen. Ich ging nur zum Weihnachtsbazar, um mir die Sachen anzuschauen und zu fotografieren. Es schneite so schön! Ich stand und beobachtete einen alten Mann mit einem weißen Bart, der Nordmanntannen verkaufte. Auf dem großen Werbeplakat steht: Nordmann 12,50 Euro!


Er sah aus wie aus dem Film, - ein netter Weihnachtsmann! Ich beobachtete dass alle Bäume viel teuer waren als 12,50 Euro. Ich fragte nach und er war im Gespräch genauso nett wie er aussah. Er hat alles erzählt über die Vorteile von Nordmann Tannen, die ich ja ohnehin schon längst kannte. Jetzt weißt das sogar unsere Internet-Peggy. Es war trotzdem schön, sich mit ihm zu unterhalten. Er sagte, für 12 Euro wären die kleinen Bäume zu bekommen, die schon am ersten Tag alle verkauft wurden. „Solche kleinen“ – sagte er und zeigte auf „meinen Baum“. –„und was ist hiermit?“ – fragte ich und sah in der Ecke einen mit Zweigen und irgendwelchen Restschnitten zusammengeworfenen Baum. „Das ist Müll, das wird weggeschmissen, der ist zu unschön gewachsen. Der Förster guckt nicht genau hin... er macht nur das weißen Band rum, als Markierung und die Arbeiter fällen dann solche Bäume auch mit“.


Mir traten die Tränen in die Augen. „Ich nehme das“ – sagte ich. „Du bist ja so sentimental“ – sagte meine innere Stimme, die mich in solchen Situationen total nervt. „Sie wollen das wirklich haben? Der sieht doch so schlecht aus“. – sagte der Weihnachtsmannverkäufer, der Weihnachtsmann. Er half mir, den Baum ins Auto zu packen und schenkte eine Schokolade. Ich griff nach dem Portemonnaie und gab ihm einen 5, 00 Euroschein. Ich sagte dabei, - „so viel ist der Wert, bestimmt“, - und fuhr weg. Es war eine schöne Begegnung.

FRANK:Vielleicht ist es kein Zufall, dass Gott seine Schöpfung auf einer Kugel ausgesetzt hat, deren Oberfläche als geometrischer Körper bekanntlich die Menge aller Punkte ist, deren Abstand zum Kugelmittelpunkt einen festen Wert aufweist – und das können wahrlich viele sein. Gott ist offenbar Monist und Pluralist zugleich. Die vielen Punkte, die Vielfalt der Weltmittelpunkte bilden in einer wahrhaft globalen Epoche mit ihrer rasanten Beschleunigung kaum noch stetige Achsen der Orientierung. Wenn unser Baum seine Wurzeln an einem Ort in den Boden versenken will, muss er sich heute wohl am Himmel orientieren. Jede Verdinglichung des Ortes, an dem wir den Paradiesbaum permute, bedeutet schon die Vertreibung aus dem Garten Eden. So ist es auch mit dem georgischen Paradies, diesem Osten im Westen oder Westen im Osten. Lassen wir den berühmten georgischen Philosophen Merab Mamardaschwili zu Wort kommen:„Wir können sagen, „Osten“ – das ist eine ewige Kindheit der Menschheit, also ihr ewig natürlicher Zustand. Genauso ewig ist das Formale, also der reflektierte Zustand. Um das oben Gesagte zusammenzufassen, werde ich sagen: Wenn wir über Ost und West sprechen, dann ist dass nichts anderes als ein Hinweis auf zwei ewige Momente des menschlichen Daseins. Der Mensch ist entweder westlich oder östlich. Das zu verstehen, ist sehr wichtig, weil wir auf politischer, philosophischer (…) Ebene, dauernd von einem ost-westlichen Widerspruch hören. Aber die Realität, die mit solchen Wörtern zum Ausdruck gebracht wird (selbst wenn dem Sprecher dies nicht bewusst ist), ist keine Geographie, kein Land, sondern ein Hinweis auf diese beiden ewigen Momente des Menschseins. Unsere Seele hat zwei Momente und sie befindet sich immer in dem einen oder dem anderen. Daraus folgt übrigens, dass ein Konflikt zwischen Ost und West unmöglich ist. Es ist logisch unmöglich, dass das eine Element das andere trifft, so wie eine Seite nicht die andere treffen kann. “

MARIKA:Ich brachte den Baum nach Hause. Wir wollten ja dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum mehr kaufen. Ich war aber froh jetzt einen zu haben. So einen, den keiner haben wollte. Es war dieses Jahr ungewöhnlich ruhig bei uns, keine übliche Überdosis von Plätzchen und keine Höflichkeiten, keinen Kranz... Wir flogen auch nicht nach Georgien, wie immer mal wieder. Schöne, ruhige und schlichte Tagen. Es schneit draußen. Ich sagte mir, - das ist doch Weihnachten, die Ruhe genießen, zu Hause sein, dabei Freude haben, Musik hören. Diesmal war auch meine innere Stimme gut zu mir. Sie hat mich diesmal nicht genervt und mich nicht zynisch gefragt, - fühlst du dich vergessen? Alleine? Apropos Musik! Ich hörte auf youtube diese Tagen nur orientalische Musik, Tabla, Belldance und all so was. Den ganzen Tag, manches immer wieder. Aziza! Die nenne ich schon „meine Aziza“. Auf Facebook habe ich sie schon mehrfach verlinkt. Sie ist wunderschön! Ich schaue mich um, wiegte mich leicht im Tanzschritt von Aziza mit. Ja! Genau so mache ich das! Ich nehme diese Autokiste von meinem pubertierenden Sohn und damit schmücke ich der Baum! Mit kleinen bunten Autos! Mein Sohn fand das toll! Alle fanden das toll.

Meine innere Stimme kicherte, - „hi, hi.. eine orthodoxe Georgierin, Emigrantin (das bin ich eigentlich nicht, aber ich wollte mit ihr nicht streiten, lass sie kichern und reden, - habe ich für mich gedacht). Hi, hi, hi, zu Weihnachten in Deutschland schmückt sie mit den Spielzeugautos den weggeworfenen Baum, den keiner haben will, tanzt dabei einen orientalischen Tanz! Ist ja toll!“ Ich habe sie kichern lassen. Es war einfach schön! Ich brauchte keinen Beifall.

Die in dem Text angegebenen Zahlen und Daten basieren auf unseren Recherchen aus dem Jahre 2010. Der Text ist erschienen in dem fünften Heft des EINblick georgien.

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