Einführungstext an der Elbphilharmonie am 01.04.2018 für den Antchiskhati Chor Konzert im Rahmen des Kaukasus Festivals
Sehr geehrte Damen
und Herren,
In einem Hamburger Vers aus dem 18. Jahrhundert war
die Zugehörigkeit der Bürger genau definiert:
"Sankt Petri den Reichen /
Sankt Nikolai desgleichen / Sankt Katharinen den Vornehmen / Sankt Jacobi den
Bauern, / Sankt Michaelis den Armen / Dat mag Gott wohl erbarmen."-
- Nun können wir noch einen Satz
hinzufügen: die Elbphilharmonie – ein Ort für Alle!
Wir begrüßen sie
heute Abend in diesen Saal, der Elbphilharmonie, worauf wir Hamburger stolz
sind und dazu möchte ich mich auch zählen.
An diesem geschichtsträchtigen Platz, bekommt das
Schlagwort „Hamburg - Tor zu Welt“ einen konkreten Inhalt.
Eine georgische
Legende besagt: Als der Herrgott die Erde aufteilte, hat er ein kleines Stück
Erde für sich behalten. Plötzlich kommen die Georgier schön singend daher, denn
sie haben die Aufteilung
verpasst. Gott gefällt
so sehr, was sie singen, dass er das Land, was er für sich vorgesehen hat, dem „singenden Volk“ schenkt.
Schon der altgriechische
Geschichtsschreiber Strabon nannte die Georgier ein „singendes Volk“.
So wie die
Herkunft der georgischen Sprache den Forschern noch heute Rätsel aufgibt, steht
auch die Musik als einzigartiges Phänomen neben den anderen Musikkulturen der
Welt.
In der Musik Georgiens spiegelt sich nicht nur die komplexe
kulturelle Geschichte des Landes, sondern die ganze Fülle der Entwicklungsstufen und Formen der Musik wieder.
Georgische Musik ist grundsätzlich mehrstimmig. Die Entwicklung der
georgischen Polyphonie- Mehrstimmigkeit, geht der europäischen um mindestens
dreihundert Jahre voraus und basiert auf
einem eigenen Notensystem.
Der Musikwissenschaftler und
Sozialanthropologe Siegfried Ferdinand Nadel behauptet, dass die Verbreitung
der Polyphonie in der europäischen professionellen Musik georgischen Ursprungs
sei.
Die musikalische Tradition Georgiens ist insofern
bedeutsam, als das Land von Kulturen umgeben ist, in denen es keine
Mehrstimmigkeit gibt. Die georgische Sprache und die Musik zeichnen ihre
historisch-geographischen Grenzen genau auf.
Es ist doch vielleicht mehr als nur symbolisch, dass für eine utopische
Idee, ein Lied aus dem Kaukasus, der oftmals als „Berg der Sprachen“ und als
„Berg der Völker“ bezeichnet wird, ins All geschickt wurde. Das georgische Lied „Chakrulo“ erklingt auf der sogenannte Golden Record, die die
NASA mit der Raumsonde Voyager im Jahr 1977 mitgenommen hat. Sie soll für die
nächsten 500 hundert Millionen Jahre ein Zeugnis über die Menschheit ablegen.
Wir freuen uns auf den zweiten
Teil unseres Konzerts und weiter mit Ihnen zusammen zu sein.
Nach der Christianisierung
Georgiens in den 30er Jahren des IV. Jahrhunderts ist die Mehrstimmigkeit als
musikalische Sprache vermutlich von der Kirche übernommen worden und im Sinne
des christlichen Trinitätsgedankens als Dreistimmigkeit kanonisiert.
Ist in dieser Musik vielleicht ein
Schlüssel verborgen, durch den sich der tiefere Sinn des in alten georgischen
Schriften gebrauchten Begriffs „Schekovleba“ eröffnet? Dieses Wort lässt sich mit
„Vereinigen“ oder „Zusammenfügen“ übersetzen. Wurde vielleicht in der
kompliziert verlaufenden Stimmführung, die in jedem Lied Unisono endet, dieses sakrale Daseinskonzept
zum Ausdruck gebracht?
David Schugliaschwili der Musikwissenschaftler und einer von vier Gründern
des Anchischati Chors äußerte sich wie folgt in einem Interview mit mir:
...“die georgische Mehrstimmigkeit ist eher eine Suche nach der
Einigkeit, ein Sich-Finden in der Unterschiedlichkeit.“
Von
der Eroberung des Kaukasus und der Annexion des Landes durch das zaristische Russland war
auch die georgische Musik betroffen. Der seit dem 4. Jahrhundert eigenständigen
georgischen Kirche wurde die Autokephalie genommen und Kirchengesang verboten. Die
Fresken wurden übermalt, die georgische Königsdynastie, die Älteste in Europa,
wurde aufgelöst, zerstreut oder unter den Zar gestellt.
Die georgische Sprache, die zu einer
alleinstehenden Sprachfamilie gehört, war bald vom Aussterben bedroht. Genau ab
diesem Zeitpunkt gab es in Georgien ein Erwachen der nationalen Bewegung, des
so genannten TERGDALEULI, - also diejenigen, die vom Tergi, einem Fluss im
Norden Georgiens, getrunken hätten bzw. ihn überquert haben. Das waren junge
Menschen, die in Petersburger oder europäischen Universitäten studiert hatten und
zurückgekehrt sind. Es wurden erste Versuche unternommen um die bis dato die
mündlich überlieferte georgische Musik aufzuschreiben.
Georgiens Geschichte wurde mehrfach
auf das bitterste unterbrochen: Revolution, Aufstände, kurze Unabhängigkeit vor
genau 100 Jahren, 1918, war es dieerste sozialistische Republik weltweit, in der
unter mehrere progressive Reformen, wie die Frauenrechte, in der Welt für Aufsehen
sorgten. Dann gab es wieder erneute Annexion, Repressalien, kommunistisch
autoritäre Regime, dunklere 1990er Jahre, Giftgase, Demonstrationen und noch
mal die ersehnte Unabhängigkeit 1991, ein Auf und Ab, die erneute Okkupation,
den Krieg vom 2008 und die heutige Stagnation.
Der Dichter und Philosoph
Johann Gottfried von Herder sammelte Volkslieder und gab einen Band heraus:
“Stimmen der
Völker in Liedern”, und damit wurde Herder Initiator der deutschen
Volksliedforschung. Herder
schrieb: „das Lied bleibt und wird gesungen....“ "Poesie und insonderheit Lied (....)
lebte im Ohr des Volkes, auf den Lippen und der Harfe
lebendiger Sänger, ... sie war die Blume der Eigenheit eines Volkes."
Diese Lieder eines Volkes haben
viele Freunde gefunden. Überall auf der Welt werden georgische Lieder entdeckt
und gesungen. Wir möchten, dass diese Blume, nach Herders – „der Eigenheit des
Volkes“- eine Blume dieses Planeten bleiben soll.
Frohe Ostern!
Ich danke Ihnen!
Marika Lapauri-Burk
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen